Im Jahr 2010 stellten wir zusammen mit dem Büro Lorenz & Co. Bauingenieure und der BVG die spektakuläre Sanierung dieses herausragenden technischen Kulturdenkmals von Alfred Grenander vor. Ein beeindruckendes Besonderes Denkmal!
Zwischen 1909 und 1930 wurde der 1,7 km lange Hochbahnviadukt der heutigen U2 im Prenzlauer Berg vom schwedischen Architekten Alfred Grenander (1863-1931) in zwei Bauabschnitten errichtet. Entwurf, Konstruktion und Gestaltung des Stahl-Viaduktes, einschließlich der beiden Hochbahnhöfe Eberswalder Straße und Schönhauser Allee, waren das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit von ihm und den Ingenieuren, die schon in vielen zeitgenössischen Publikationen als vorbildlich gewürdigt wurde und 1979 Anlass gab, den gesamten Brückenzug unter Denkmalschutz zu stellen.
Als im Jahr 2000 bei sicherheitstechnischen Überprüfungen gravierende Mängel festgestellt wurden, schien das Schicksal der historischen Ingenieurkonstruktion, die den 2. Weltkrieg nahezu unversehrt überstanden hatte, besiegelt. Doch dann wurde der Automatismus von Abriss und Neubau durchbrochen: Die BVG beauftragte die schärfsten Kritiker einer technisch perfekten Neubaulösung, das Team des Büros Lorenz & Co. Bauingenieure zunächst mit der Bestandsuntersuchung, dann mit der denkmalgerechten Planung.
Die Herausforderung bestand darin, einen hoch befahrenen Brückenzug für die kommenden Jahrzehnte als tragfähiges und gebrauchstaugliches Ensemble zu sichern und dabei doch dem Denkmalcharakter bestmöglich Rechnung zu tragen. Das Büro Lorenz & Co. Bauingenieure kam dabei zu einer Reihe ungewöhnlicher ingenieurtechnischer Lösungen.
Dabei war die Sicherheit der Brückenlager zu gewährleisten, für die bauzeitlich zu schwach bemessenen Fahrbahnbleche eine Lösung zu finden und die Frage der Brückenquerung im Bereich der Bornholmer-Wisbyer Straße zu beantworten.
Teil 1: Behutsame Lagersanierung
Üblicherweise wären die historischen Brückenlager durch moderne, optisch völlig unterschiedliche Gleit- oder Verformungslager ersetzt worden. Grenander hatte die Brückenlager jedoch gezielt als Mittel der baukünstlerischen Gestaltung eingesetzt. Deshalb wollte man bei der Lagersanierung möglichst viele der etwa 530 historischen Lagerkörper ungeachtet ihres Alters im Bestand belassen und für die neu einzubauenden Lager Lösungen entwickeln, die Grenanders Formensprache aufgreifen. Die Umsetzung der Zielsetzung erwies sich als aufwändig. Sie erforderte u.a. einen Probeaustausch, um überhaupt Sicherheit über die späteren Bauabläufe zu gewinnen. Aber es gelang und und nur 140 der Lager mussten ausgetauscht werden, was der BVG erhebliche Kosten sparte.
Teil 2: Denkmalverträgliche Erneuerung der Fahrbahnbleche
Für die notwendige Erneuerung der Fahrbahnbleche, die Ermüdungsrisse aufwiesen, konnten nach umfangreichen Voruntersuchungen die historischen Tonnen- und Buckelbleche mit gezielten Verstärkungen nachgebaut werden. Diese denkmalpflegerisch beste Lösung erwies sich auch als die technisch beste. Sie setzte allerdings eine sehr intensive, passgenaue Planung voraus. Dazu wurde u.a. ein genaues Aufmaß jedes einzelnen der mehr als 2.000 (!) Fahrbahnbleche mit ca. 400 (!) verschiedenen Geometrien nötig und vor allem die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung der dreidimensional gekrümmten Fahrbahnbleche durch hydraulische Kaltverformung. Für dieses Verfahren wurde ein Patent angemeldet.
Teil 3: Neubau im Dialog mit dem historischen Bestand
Aus verkehrlichen Gründen schied im Bereich der hoch befahrenen Querung der Bornholmer- / Wisbyer Straße die Sanierung des Viadukts aus. Für die etwa 60 m lange Brücke kam hier nur ein Neubau in Frage. Die Planung orientierte sich an den drei Leitgedanken einer Philosophie des „Weiterbauens“ im denkmalgeschützten Bestand:
1. kein Versuch eines „originalnahen“ Nachbaus
2. behutsame Integration im Sinne einer Fortschreibung vorhandener Merkmale des Bestandes
3. zurückhaltende Akzentuierung des Neuen. Der Neubau konnte im Herbst 2009 in einer nur einwöchigen Sperrpause errichtet werden.
Das Ergebnis
Das überzeugende Resultat der Sanierung zeigt, was heutige Ingenieurbaukunst zu leisten vermag, wenn sie vom Respekt gegenüber den Leistungen früherer Generationen getragen wird. Es ist den verantwortlichen Ingenieuren gelungen, einem herausragenden technischen Kulturdenkmal seine ursprüngliche Schönheit zurückzugeben. Die gestalterische Schönheit der technischen Infrastruktur trägt zur Qualität des urbanen Raumes bei. Der Hochbahnviadukt setzt Maßstäbe - für den Anspruch an Bauten der Gegenwart und der Zukunft.
Weitere Informationen:
Presseeinladung von 6.12.2010 (pdf)
Stahlbau unter Denkmalschutz (pdf)