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ⓒ Regina Aisch

Stellungnahme Professor Dr. Reinhard Rürup

Stellungnahme Professor Dr. Reinhard Rürup, Historiker und Gründungsdirektor der Stiftung Topographie  des Terrors

Pressegespräch des Vereins "Denk mal an Berlin" im Hotel Bogota am 26. 6. 2013
Vorstellung des Gutachtens von PD Dr. Dietrich Worbs: „Das Haus Schlüterstraße 45 in Berlin-Charlottenburg: ein Baudenkmal der ‚Zerstörten Vielfalt‘“

Worum geht es?

Der Historische Ort, der erhalten werden soll, ist nicht das Hotel Bogota, sondern das Gebäude Schlüterstraße 45.  

Das Gebäude soll nicht nur erhalten werden, sondern auch für eine interessierte Öffentlichkeit zugänglich sein. Das ist bei einer Nutzung als Hotel besonders gut möglich, und das Hotel Bogota hat in dieser Hinsicht bis heute viel geleistet.

Das Gebäude, das im IIWK keine größeren Kriegsschäden erlitten hat, ist seit 1995 als ein zu schützendes Baudenkmal anerkannt. Dennoch ist 2006 die Straßenfassade  durch den Einbau eines Ladengeschäfts teilweise verändert worden. Trotz dieses Eingriffs ist das Gebäude aber in seiner Gesamtanlage weiterhin gut erkennbar. Die vom Hauseigentümer geplante Erweiterung der Ladenzone über die gesamte Straßenfront würde dagegen den Charakter des Gebäudes entscheidend verändern.

Im Innern entspricht das Gebäude nach den Umbauten von 1942 sowie den für die Pensionen und das Hotel seit den sechziger und siebziger Jahren vorgenommenen Umbauten nur noch in ausgewählten Teilen dem ursprünglichen Zustand. Doch sind mit den Atelierräumen im 4. OG, dem 1942 geschaffenen Direktionszimmer der Reichskulturkammer im 2. OG und dem großen Saal (Kinosaal) im EG die für die historische Bedeutung des Gebäudes entscheidenden Räumen sehr gut erhalten. Bei diesen Räumen handelt es sich um authentische Zeugnisse der Geschichte in einem strengen Sinn. Durch die vom Hauseigentümer geplanten Umbauten würde diese historische Substanz jedoch gefährdet, teilweise völlig zerstört.

Zur historischen Bedeutung des Gebäudes:

Es ist ein Gebäude, in dem sich die Geschichte Berlins als die Hauptstadt des Deutschen Reiches von der späten Kaiserzeit bis zum Beginn der Teilung der Stadt nach 1945 so spiegelt wie an wenigen anderen Orten.

Das Gebäude selbst, mit den Wohnungen von 300 bzw. 410 qm, dokumentiert die Glanzzeit des Kaiserreichs und die Existenz eines Großbürgertums, das solche Wohnungen nutzen und bezahlen konnte. Der auffällig rasche Eigentümerwechsel seit dem Ende des IWK spiegelt die Instabilität der Weimarer Zeit und die zunehmende Immobilienspekulation in den zwanziger, teilweise auch noch in den dreißiger Jahren in Berlin (erst ein türkischer, dann ein polnischer, dann ein weiterer polnischer, in Paris lebender Eigentümer, der 1941 von den Nazis enteignet wurde). Daß unter den Mietern, von denen nur relativ wenige bisher bekannt sind, auch jüdische Architekten, Künstler, Unternehmer und Kunstsammler waren, verweist darauf, daß jüdische Familien einen erheblichen Teil des Berliner Großbürgertums bildeten und auch am kulturellen Leben weit über ihren Anteil von 4-5 % der Berliner Bevölkerung hinaus beteiligt waren. Ob man deshalb von einem besonderen Ort der „deutschen-jüdischen Symbiose“ sprechen soll, scheint mir zweifelhaft, zumal das „Symbiose“-Konzept sehr umstritten ist.

Von großer Bedeutung im Sinne des Denkmalschutzes ist die Tatsache, daß die in den 20er und 30er Jahren überaus erfolgreiche Fotografin Else Neuländer (Yva) 1934-38 im 4. OG und dem zugehörigen Dachgeschoß ihr Atelier hatte und daß Helmut Neustädter/Newton hier 1936-38 das Fotografieren lernte. Die im wesentlichen erhaltenen Atelierräume sind ein besonders eindrucksvolles Zeugnis der Berliner Kulturgeschichte im frühen 20. Jahrhundert. Da Yva und ihr Ehemann Hans Simon 1942 deportiert und ermordet wurden (und andere jüdische Mieter in die Emigration gezwungen wurden), tritt an diesem Ort auch die Geschichte der Verfolgung und Ermordung der Juden in der NS-Zeit deutlich in Erscheinung.

Dass die Reichskulturkammer 1941 Eigentümer und nach entsprechenden Umbauten 1942 Hauptnutzer des Gebäudes wurde, machte die Schlüterstr. 45 plötzlich zu einer prominenten Adresse in der Geschichte nicht nur der Berliner, sondern auch der deutschen Kulturpolitik. In dem neugeschaffenen Direktionszimmer wurden wichtige kulturpolitische Entscheidungen, nicht zuletzt in der Filmpolitik, getroffen, und für nicht wenige der großen Künstler dieser Zeit sind Gespräche bzw. Verhandlungen mit Hans Hinkel überliefert. In den Kriegsjahren ab 1942 ist die Schlüterstr. 45, in der auch die Mitgliederkartei der RKK geführt wurde, die zentrale Adresse für alle, die im „Dritten Reich“ kulturpolitisch tätig waren. Daß mit der RKK auch die beschlagnahmten Gemälde des früheren Jüdischen Museums Berlin in die Schlüterstraße kamen, ist ein unbestrittenes Faktum, ohne daß bisher eindeutig geklärt ist, warum das so war.

Da Hinkel und seine Mitarbeiter, wie auch in anderen höheren NS-Dienststellen üblich, sich bei Kriegsende möglichst unsichtbar machten und das große Gebäude nicht zerstört war, kam es Anfang Mai 1945 zu einer „Besetzung“ des Hauses durch kulturpolitisch engagierte Personen, die nicht NS-belastet und teilweise im Widerstand tätig waren. Die Schlüterstr. 45 schien ihnen der geeignete Ort für einen parteiübergreifenden demokratischen kulturpolitischen Neuanfang. Aus dem vom Stadtkommandanten Bersarin Anfang Juni 1945 legitimierten Anspruch (mit Paul Wegener als "Kulturbeauftrager" der Militärregierung), wurde wenig später unter der politischen Verantwortung des Berliner Magistrats eine „Kammer der Kulturschaffenden“, die sich einerseits um den Wiederbeginn des Kulturlebens in Berlin bemühte und andererseits, gestützt auf die Mitgliederkartei der RKK, eine politische Überprüfung der Kulturschaffenden begann. Von der hier eingerichteten „Spruchkammer zur Entnazifizierung der Berliner Kulturschaffenden“, die auch von der britischen Besatzungsmacht anerkannt wurde, wurde u.a. über die Wiederzulassung von Furtwängler, Gründgens, Rühmann oder Grete Weiser entschieden.

Die „Spruchkammer“ arbeitete auch dann noch weiter, als ab Juni 1946 die „Kammer der Kulturschaffenden“ durch den „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ abgelöst wurde, der seinen Sitz ebenfalls in der Schlüterstr. 45 nahm und im Sommer 1946 bereits 9.000 Mitglieder zählte. Er war für eine kurze Übergangszeit eine sehr wichtige kulturpolitische Institution, deren Präsidium unter dem Vorsitz von Johannes R. Becher überparteilich zusammengesetzt war (Gustav Dahrendorf für die SPD, Ferdinand Friedensburg für die CDU, Otto Winzer für die KPD, dazu Carl Hofer, Bernhard Kellermann, Paul Wegener). In Folge der beginnenden politischen Teilung Berlins konnte der Kulturbund ab November 1947 in den britischen und amerikanischen Sektoren nicht mehr tätig sein und mußte deshalb auch seine Räume in der Schlüterstraße aufgeben. Wie wichtig die Schlüterstr. 45 in den ersten Nachrkiegsjahren für die Berliner Kultur und Kulturpolitik war, hat vor allem Wolfgang Schivelbusch in seinem 1995 erschienen Buch “Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945-1948“ sehr schön herausgearbeitet. Es dürfte für den demokratischen Neuanfang in Berlin in den ersten Nachkriegsjahren kaum eine andere Adresse geben, in der sich die Initiativen und Aktivitäten, die Hoffnungen und Erwartungen der Kulturschaffenden so bündeln wie hier.

Daß diese Geschichte ebenso wie die Geschichte der RKK und der Fotokunst der Yva in den fünfziger und sechziger Jahren und darüber hinaus wenig Beachtung gefunden haben, ist angesichst der allgemeinen Zeittendenzen nicht weiter verwunderlich. Auch der DGB, der 1951 das inzwischen restituierte Gebäude erwarb und dort (offenbar bis 1963) eine Bildungsstätte betrieb, interessierte sich offenbar nicht dafür (doch ist diese Phase der Gebäudegeschichte bislang kaum erforscht). In den letzten 2-3 Jahrzehnten haben wir aber in Berlin ebenso wie in ganz Deutschland ein neues Verhältnis zur Geschichte entwickelt. Eentstanden ist eine demokratische Erinnerungskultur, für die die überlieferten Zeugnisse der Geschichte, die Plätze und Gebäude, in denen Geschichte sichtbar wird, von außerordentlicher Bedeutung sind. Gerade in Berlin ist in dieser Hinsicht seit der Mitte der achtziger Jahre sehr viel geschehen.

In dieser Geschichtslandschaft, die es zu bewahren und zu pflegen gilt, ist die Schlüterstr. 45 ein wesentliches, nicht verzichtbares Element. Es muß deshalb alles dafür getan werden, daß sie auch künftig als ein unverwechselbarer historischer Ort erhalten bleibt und zugänglich ist. Das ist in erster Linie eine Aufgabe der zuständigen Denkmalschutzbehörden, aber auch die politisch Verantwortlichen stehen hier in der Pflicht.

PS: „Legenden“:

  • Springer habe hier seine Lizenz erhalten,
  • Benny Goodmann (geb. 1909) habe bei Skallers Tanzabenden gespielt,
  • Hitler als „Hynkel“ in Chaplins „Der große Diktator“ sei nach Hans Hinkel benannt.

Denk mal an Berlin e.V.
Verein zur Förderung der Denkmalpflege

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Kristin Lanzke-Tümler
Suzan Sensoy Haake

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