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Nachrichten & Rückblicke

Datum: 11.04.2025 18:00 - 21:00 Termin exportieren
Elisabeth Ziemer
/ Kategorien: Rückblick

Stadtquartier Am Tacheles

Ein Abend rund um die Spandauer Vorstadt mit Dipl. Architektin Dorothee Dubrau

Der Abend war ein Ritt durch die Geschichte der Spandauer Vorstadt, denn wie Frau Dubrau sehr richtig bemerkte, ist das Tacheles und sein hinter ihm liegendes Neubauquartier nicht ohne seine historische Umgebung zu verstehen.

Die Geschichte der Spandauer Vorstadt

Das geschichtsträchtige Viertel entwickelte sich, vor dem Spandauer Tor und der mittelalterlichen Stadtmauer gelegen, als Fläche, die von der Berliner Bevölkerung zunächst für Gemüseanbau genutzt, dann aber von Kurfürstin Dorothea in Bauland umgewandelt wurde. Die Parzellen wurden verkauft. 1710 standen hier bereits 500 Wohnhäuser, hinzu kam 1712 die Sophienkirche in der Hamburger Strasse. 1750 wurde die Zollmauer um die Spandauer Vorstadt erweitert. 1890 wohnten hier bereits an die 80.000 Einwohner, die in den engen Strassen, Hinterhöfen und Durchgängen versuchten mit Werkstätten und Handel ihr Einkommen zu finden. Die Spandauer Vorstadt blieb trotz einzelner repräsentativer Bauten eher ein ärmeres Viertel.

1920 fusionierte die Stadtgemeinde Berlin zusammen mit 7 Städten, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken zu Groß-Berlin und die Spandauer Vorstadt wurde dem neuen Bezirk Mitte zugeschlagen.

Während der 2. Weltkrieg relativ wenig Schäden an der historischen Bausubstanz hinterliess, verfiel sie jedoch zunehmend in den folgenden Jahrzehnten, da sich die Bautätigkeit der DDR auf die grossen Neubauquartiere konzentrierte, um Wohnungen zu schaffen. Die Altbausubstanz in Mitte geriet erst mit der 750-Jahr-Feier Berlins wieder in den Focus. So wurde z.B. die Sophienstrasse saniert, andere Bereiche aber zum Abriss vorgesehen. Dorothee Dubrau, die ihr Studium für Architektur und Städtebau 1978 an der Kunsthochschule in Weissensee abgeschlossen hatte, arbeitete denn auch zunächst beim Hauptauftraggeber Komplexer Wohnungsbau (HAG), der die Neubaugebiete in Marzahn und Hellersdorf entwarf. 1980 wechselten sie in den Innenstadtbereich und begann in Bürgerinitiativen mitzuarbeiten, die sich die Rettung der inzwischen heruntergekommenen Altbausubstanz zum Ziel setzten.

Die Spandauer Vorstadt nach 1990

Durch ihr Engagement bekannt und ihre Ausbildung prädestiniert, wurde sie nach dem Mauerfall zur Stadträtin für Bau- und Wohnungswesen in Mitte gewählt. Ihr ist es zu verdanken, dass die Spandauer Vorstadt heute als besterhaltener historischer Stadtteil Berlins gilt. Denn sie erreichte es gegen zahlreiche Widerstände und die starken Neubauinteressen von Investoren: "Ich musste immer nein, nein, nein sagen", dass das Viertel als Sanierungsgebiet ausgewiesen und keine Abrisse durchgeführt wurden. Im Gegenteil zeigte Dubrau an diesem Abend an welchen Stellen und mit welch überzeugendem Erfolg bereits verfallene Strukturen wieder aufgebaut und erneuert wurden. In Lücken wurden Neubauten in die alten Strukturen integriert, der historische Bestand saniert und denkmalgerecht instandgesetzt. Die 1906/07 nach Plänen von Kurt Berndt erbauten Hackeschen Höfe mit ihrem von August Endell aufwendig gestalteten Hof I, die schon seit 1977 unter Denkmalschutz standen, aber sehr heruntergekommen waren, wurden zum aufwendig instandgesetzten Schmuckstück. Übrigens waren sie 1940 dem Jüdischen Besitzer Jakob Michael enteignet und viele der jüdischen Mieter und Gewerbetreibenden ermordet worden.

Sinn des Sanierungsgebietes war aber nicht nur der Erhalt der historischen Bausubstanz, sondern auch der Schutz der dort wohnenden Bevölkerung vor Vertreibung durch steigende Mieten. Die Zusammenarbeit mit den Anwohnerinnen und Anwohnern war eine der Grundlagen von Dubraus Stadtentwicklungspolitik. Dubrau blieb bis 1996 Stadträtin, dann wechselte sie in den Prenzlauer Berg, kam aber 2001 zurück und blieb bis 2006 zuständig für die Stadtentwicklung in dem nun um Tiergarten und Wedding vergrösserten Bezirk Mitte.

Das Tacheles

Fast vergessen sind schon die Jahre zwischen 1990 und 2012 als die Künstlerinitiative Tacheles dem Rest der ehemaligen Friedrichstadtpassagen ihren Namen gab und das vom Krieg kaum versehrte Gebäude, das aber einen Teilabriß 1980 erlebte, vor der völligen Zerstörung bewahrte.
Das Haus hat eine geradezu berlintypische Geschichte: Das Gebäude wurde als Friedrichstadtpassage vom Architekten Franz Ahrens (1858-1937) in der kurzen Bauzeit von 1907-08 gebaut. In der damaligen Presse fand es als monumentaler Warenhausbau, der die Oranienburger Straße mit der Friedrichstraße verband, einige Aufmerksamkeit in der "Berliner Architekturwelt" von 1909, aus der auch die abgebildeten historischen Fotos stammen. Das fünfgeschossige Gebäude hatte als Neuerung einen Stahlbetonkern, der insbesondere an der Mittelhalle, die die Verbindung zwischen den beiden Straßen markierte, zum Tragen kam. Die folgende Nutzergeschichte ist von Konkursen, Weitervermietungen, Umnutzungen und Umbauten geprägt (https://de.wikipedia.org/wiki/Kunsthaus_Tacheles)
Eine erste Zerstörung des einigermaßen wohlbehaltenen robusten Gebäudes nach dem Krieg fiel in das Jahr 1980. Zu einem von der DDR geplanten Gesamtabriß kam es dann aber durch den Mauerfall und die Besetzung durch die Künstlerinitiative Tacheles nicht mehr. 1992 wurde das Gebäude aufgrund des Engagements der Initiative unter Denkmalschutz gestellt. Die Attraktivität und Offenheit des imposanten, teilzerstörten Monumentalbaus zog immer mehr Künstler/innen, Veranstalter, Café- und Barbetreiber an, die Ateliers in den verschiedenen Räumen betrieben, Lesungen, Performances, Theater anboten. Die pulsierende Kulturinstitution wurde politisch unterstützt von Dorothee Dubrau. Nach Rückübertragung an die Erben des ehemaligen jüdischen Besitzers kaufte die Fundus-Gruppe 1998 das Grundstück, da sich aber kein Investor für die Planung fand, konnten die Nutzer bis 2008 einen Mietvertrag aushandeln, der jedoch nicht verlängert wurde. Ab da folgten Insolvenz der Betreiber, Zwangsverwaltung, Räumungen, die im September 2012 endgültig dem Projekt den Garaus machten. Zu dieser Zeit war Dubrau schon längst nicht mehr im Bezirk. 2014 wurde das Gelände an die New Yorker Vermögensverwaltung Perella Weinberg Partners LP verkauft. Der inzwischen aufgestellte Bebauungsplan sah den Erhalt der Ruine und eine grosse Anzahl von Wohn- und Gewerbebauten vor. Inzwischen wurde das ganze Gelände von Herzog & de Meuron, Brandlhuber+ Muck Petzet und Grüntuch Ernst Architekten bebaut und von den Investoren pwr development GmbH als "spannendstes städtebauliches Projekt der Metropole" bezeichnet. Der Architekturkritiker Niklas Maak hingegen befand in der FAZ vom 4.3.2023, daß sich "die Hauptstadt selbst enteignet" habe und daß Berlins umstrittenes neues Wohnviertel am Tacheles "die Folgen einer kopflosen Stadtplanung" zeige.

Fazit

Die inzwischen eingesetzte Gentrifizierung in der Spandauer Vorstadt, die luxuriöse Sanierung des Tacheles, die kaum etwas von der aufregenden Zeit der 90er Jahre übrig gelassen hat, die sterile Neubebauung mit Apartments, deren Preise in die Millionen gehen brachten Dorothee Dubrau zum Schluss, dass das Ziel, neue Bauten der kleinteiligen historischen Umgebung anzupassen und die Bevölkerung am Ort zu halten, völlig misslungen sei. Im Gegenteil sei das Neubauquartier ein Fremdkörper und es habe ein völliger Austausch der Bevölkerung stattgefunden. In der anschliessenden Debatte wurden ihre Einschätzungen bestätigt. Verschiedene Zuhörer beklagten, dass die Neubauten "Am Tacheles" nichts mit ihrer historischen Umgebung zu tun hätten, kalt und unlebendig wirkten. Auffällig sei der Leerstand an Gewerbe und Wohnungen. Die Bekämpfung der Wohnungsnot mit unbezahlbarem Luxuswohnraum für Wenige sei völlig abstrus. Hier habe die Politik versagt. Der Einsatz, den Dorothee Dubrau für die behutsame Stadterneuerung und den Erhalt des historischen Erbes Berlins geleistet habe, sei hingegen vorbildlich. Dafür und für ihren fulminanten Vortrag wurde ihr herzlich vom Publikum gedankt.

 

 

 

 

Karte: Lutz Mauersberger (Berlin-Mitte Archiv). Die Spandauer Vorstadt hat die Nr. XV

Fotos: Daniel Bellut

Historische Fotos: Berliner Architekturwelt, 1909

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