Neben dem Grab von Oscar Blumenthal und seiner Frau Marie, das wir in den Jahren 2021/22 sanieren konnten, befand sich ein völlig zusammengestürztes Familiengrab, dessen Eigentümer an den Bruchstücken, die zudem wild überwachsen waren, nicht mehr abgelesen werden konnte. Nur die Grabnummer an einem der stehengebliebenen Pfosten führte uns auf die Spur, denn wir wollten gern die ansonsten erhaltene Reihe der Familiengräber an dieser Hauptachse des Friedhofs vervollständigen. Die Grabnummer 1681 und ihre zugehörige Karteikarte im Archiv des Friedhofs verriet uns dann, dass hier Moritz Stöckel (1864-1910), Baumeister in Friedenau beerdigt lag und sein Bruder Siegmund (1868-1939), ebenfalls Baumeister in Friedenau, die Beerdigung angekündigt hatte. Da Moritz Stöckel 1910 starb, mußte er Anteil an der Neubebauung von Friedenau gehabt haben, da diese Landgemeinde, damals im Landkreis Teltow gelegen, erst 1874 offiziell gegründet worden war. Nun war unsere Neugierde völlig erwacht und wir begannen zu recherchieren.
Welchen grossen Anteil Moritz Stöckel und sein Bruder, die jeder ihr eigenes Baugeschäft betrieben, tatsächlich am Aufbau von Friedenau hatten, enthüllte sich erst nach vielmonatiger Recherche in den Adreßbüchern von Berlin und der Auswertung der Bauakten von den daraufhin annähernd 60 identifizierten Wohnhäusern, die die Brüder erstellten und deren Unterlagen heute im Bauarchiv des Rathauses Schöneberg lagern. Die meisten dieser Häuser sind noch erhalten und tragen zu der besonderen städtebaulichen Ausformung und Wohnqualität dieses begehrten Wohnviertels bei. Drei der Häuser stehen unter Denkmalschutz.
Die Grabanlage ist vermutlich zusammen mit der rückwärtigen Friedhofsmauer eingestürzt.
Der Verein konnte Förderzusagen und Spenden für die Sanierung des Familiengrabes Stöckel in voller Höhe einwerben, sodaß der Steinrestaurator Lutz Dölle im Juni 2024 mit der Freiräumung der Grabstelle und der Sichtung der zerbrochenen Steinstücke beginnen konnte. Es stellte sich heraus, dass in der Mitte der Grabrückwand ein grösserer Teil des Granits fehlte. Auch die metallene Beschriftung der Grabtafel von Moritz Stöckel war nur teilweise vorhanden. Zudem wurde in Absprache mit dem Landesdenkmalamt und der Unteren Denkmalpflege beschlossen, die Ziegelmauer hinter der Grabstätte um einige Reihen höher zu mauern, damit die Bekrönung daran befestigt werden kann. Gefunden wurde hingegen eine vollständige, wenn auch verbogene Metallgirlande, die an der Bekrönung appliziert war sowie ein darüber angebrachter Davidstern.
2024 wurden die zahlreichen Bruchstücke zusammengesetzt, das fehlende Stück aus einem Lausitzer Steinbruch geholt und angepasst, bis zum Frosteinbruch schon Teile der Grabstätte aufgebaut und die Metallrestaurierung durchgeführt, ebenso wurden die fehlenden Buchstaben nachgegossen.
Am 25. Mai 2025 fand eine Führung zum Grab statt, bei der der Fortschritt der Arbeiten besichtigt werden konnte. Dr. Elisabeth Ziemer berichtete hier über die Familie Stöckel und das weitere Schicksal ihrer Angehörigen. Der Bruder Siegmund Stöckel wurde 1938 während der "Polenaktion" zusammen mit dem Schwiegersohn von Moritz, Max Blank, verhaftet und an die polnische Grenze, vermutlich Bentschen, deportiert. Da Polen über längere Zeit die jüdischen Familien, die hier strandeten, nicht nach Polen einließ, kam es zu Krankheits- und Todesfällen. Siegmund und Max konnten sich nach Warschau durchschlagen, hier starb Siegmund im Januar 1939 an Lungenentzüdung. Max gelang die Rückkehr nach Deutschland, er floh sofort weiter in die USA. Die beiden Witwen von Moritz und Siegmund, Gertrud und Elise, wurden zusammen mit der Tochter Susanne (von Moritz) nach Theresienstadt deportiert und dort, bzw. in Auschwitz 1942 und 1943 ermordet. Die zwei anderen Töchter von Moritz, Margarete und Cäcilie, konnten mit ihren Kindern nach London und später in die USA emigrieren. Margarete und ihre beiden Kinder Stephanie und Ernst trafen hier wieder mit Max zusammen und blieben in New York, während Cäcilie und ihr Sohn Michael Thomas später über Kanada wieder nach London zurückkehrten.
Während bei der Führung im Mai noch kaltes und regnerisches Wetter herrschte, konnten die Arbeiten inzwischen weitergeführt werden. Die notwendige Mauererhöhung für die Verankerung der Bekrönung des Grabmals ist fertig, die zusammengebrochene Grabwand mit der Grabplatte für Moritz Stöckel ist repariert, ergänzt und aufgestellt, siehe die Fotos von Lutz Dölle. Die nachgegossenen Buchstaben - es fehlte vor Allem der Name von Moritz Stöckel - werden angebracht. Nach völliger Fertigstellung der Anlage werden wir eine erneute Führung anbieten.
Auftraggeber: Denk mal an Berlin e.V.
Förderer: Landesdenkmalamt Berlin, Deutsche Stiftung Denkmalschutz mit Hilfe der Lotterie GlücksSpirale, Axel-Springer-Stiftung, Spenden des Vereins Berliner Unterwelten, von Dr. Friedrich Künzel, Dr. Beatrix Behrends-Steins, Dr. Margrit Bröhan, André Schmitz, Gerhard Poser, Dr. Erhard Schnurrbusch und vielen weiteren Einzelspenderinnen und -spendern.
Steinrestaurator: Lutz Dölle
Metallrestaurator: Alexander Strauß
Denkmalfachliche Betreuung: Christiane Kluge / UD, Gesine Sturm / LDA
Axel Springer Stiftung
Wir bedanken uns für die Förderung und Spenden, die ermöglichen, dass dieses Familiengrab - in dem weder seine in Theresienstadt ermordete Witwe Gertrud wie seine ebenfalls dort ermordete Tochter Susanne beerdigt werden konnten - wieder ein würdiges Aussehen erhält und die Erinnerung an einen der Erbauer von Berlin-Friedenau wach hält.
Fotos des zusammengefallenen Grabes: Thomas Knoll
Weitere Fotos: Elisabeth Ziemer
Arbeitsfotos: Lutz Dölle